Ich bin das mittlere Kind von acht. Und genau so fühlte es sich an: zwischen allem. Irgendwo dazwischen – aber nie wirklich gesehen.
Nie gefragt: „Wie geht es dir?“ Ich wuchs in einem Zuhause auf, das laut war, eng, voller Stimmen. Aber meine wurde nicht gehört. Mit zwölf rauchte ich meine erste Zigarette. Kurz danach den ersten Joint. Es war der Beginn einer Reise – nicht ins Leben, sondern in die Flucht. In den Widerstand. In die Wut.
Ich begann zu klauen. Zu schlagen. Erst Mitschüler. Dann Lehrer. Ich war auf einer Förderschule, aber es gab kein System, das zu mir passte. Ich war der Systemsprenger, den alle fürchteten. Aber ich war nicht einfach nur: ein Kind.
Mit 15 verkaufte ich mein erstes Päckchen Gras. Mit 16 konsumierte ich zum ersten Mal synthetische Drogen. Und dann brach es in mir los: alles, was sich aufgestaut hatte – Wut, Schmerz, Einsamkeit. Ich verletzte meinen Bruder schwer im Rausch. Ich wurde abgeholt. In die Klinik gesteckt. Diagnose: paranoide Schizophrenie mit dissozialer Störung. Man pumpte mich voll mit Medikamenten. Meine Eltern verweigerten jede Rückkehr. Aus Angst. Aus Scham. Aus Überforderung.
Ich kam in eine Jugendhilfeeinrichtung. Aber ich war nicht bereit. Ich war ein Sturm. Ich schlug Betreuende, Klienten, jeden, der mir zu nah kam. Mit Fäusten, Gürteln, Messern, Stühlen. Ich war pure Zerstörung. Bis ich nur noch Bambusgeschirr bekam. Weil alle Angst vor mir hatten.
Dann kam er. Ein Mann, der sich vorstellte, als mein Einzelbetreuer. Er setzte sich zu mir ins Zimmer. Sagte nichts Großes. Nur: „Ich bin jetzt für dich da.“ Und er blieb. Er nahm mich mit zum Kickboxen. Dort erlebte ich zum ersten Mal: Disziplin. Zusammenhang. Respekt. Jemand fragt: „Wie geht’s dir?“ Und meint es ernst.
Das wurde mein Zuhause. Mein Halt. Mein Weg zurück.
Heute habe ich meinen Abschluss. Ich bin Heilerziehungspfleger. Ich habe Sozialpädagogik studiert. Ich leite einen Bereich in der Jugendhilfe. Und ich erkenne mich in jedem Jugendlichen, den das System längst aufgegeben hat. Ich sehe sie. Ich frage sie: „Wie geht’s dir?“ Weil ich weiß, wie viel diese Frage wert ist.
Das ist meine Stimme. Meine Geschichte.
Meine Freitagsstimme.