Eine Stimme, die nicht schweigt.

Ich bin 24 Jahre alt. Und das hier ist kein einfacher Text. Es ist der erste Moment, in dem ich öffentlich spreche – weil ich muss. Weil ich sonst irgendwann platze.

Ich bin in absoluter Gewalt groß geworden. Zuhause gab es keinen sicheren Ort. Nur Schläge. Nur Schreie. Nur Angst. Ich erinnere mich an die Faust meines Vaters, die oft schneller war als meine Gedanken. Und an das Gefühl, dass ich nichts wert bin.

Mit neun Jahren habe ich angefangen, mich selbst zu verletzen. Habe Nächte im Keller verbracht, um dem Wahnsinn oben zu entkommen. In der Schule war ich der, den man weggeschickt hat. Ich habe meine Lehrer bespuckt, Mitschüler beklaut, bin von Klassenfahrten geflogen. Irgendwann kamen Schulverweise. Dann Platzverweise. Dann hieß es: „Mit dem kann man nichts anfangen.“

Ich hatte nie eine Chance, mich zu erklären. Stattdessen wurde ich diagnostiziert: mal mit einer Intelligenzminderung, mal mit dissozialem Verhalten, mal mit emotionaler Instabilität. Jeder hatte ein Urteil, niemand hatte eine Frage. Alle wussten mehr über mich – ohne mit mir geredet zu haben.

Das erste Mal Zugehörigkeit habe ich gespürt, als ich mit 14 in kriminelle Gruppen gerutscht bin. Für sie war ich wertvoll. Ich habe Drogentransporte gemacht, Kreditkarten geklaut, in Wohnungen eingebrochen, alte Menschen mit Tricks betrogen – oder wenigstens das gemacht, was mir Macht gegeben hat – oder wenigstens den Anschein davon.

Mit 17 war ich Intensivtäter. Mein Leben bestand aus Gerichtsverfahren, Sozialstunden, Bewährungsauflagen. Aber auch aus teuren Schuhen, schnellen Autos und falschen Freunden. Ich habe mein Leben finanziert durch Dinge, über die man in anderen Kreisen Dokus dreht. Und ich habe nie gelernt, wie es anders geht.

Heute lebe ich allein. Habe eine kleine Wohnung. Nach außen ist alles ruhig. Ich bin nicht mehr auffällig. Aber innen drin… Innen drin schreit es. Ich habe niemanden. Keine Familie, keine echten Freunde. Ich habe Geld, ja. Aber keinen Halt.

Und dann habe ich euch entdeckt. Neue Horizonte. Ich habe gesehen, wie ihr redet. Mit welcher Sprache. Mit welchem Blick. Und das hat etwas in mir berührt, was ich lange vergessen hatte. Vielleicht gibt es doch jemanden, der nicht nur sieht, was ich getan habe – sondern auch, was mir passiert ist.

Ich schreibe diese Freitagsstimme, weil ich will, dass ihr wisst: Ich bin noch da. Ich bin nicht gut, ich bin nicht heil – aber ich bin nicht tot. Und ich wünsche mir, dass ihr euch meldet. Ich werde euch meine Telefonnummer schicken. Vielleicht kann man einfach mal reden. Über Möglichkeiten. Über Hoffnung. Über einen Weg raus aus dem Kreis, der sich seit meiner Kindheit immer wieder dreht.

Alle haben mich aufgegeben. Aber ich hoffe, ihr nicht.

– Eine Stimme, die hofft